Zum ersten Mal in seiner Geschichte hatte am Freitag das Kasseler Dokfest zu einem Panel über interaktive Formate und einen anschließenden Workshop geladen. Das Resumée eines spannenden Tages: Langsam aber sicher formiert sich auch in Deutschland eine kleine Szene von Interessierten und Machern.
Nach der DOK Leipzig Anfang November waren Webdokus zum zweiten Mal Thema bei einem Filmfestival in Deutschland. Und genau wie in Leipzig war auch in Kassel der Produzent Fréderic Dubois dabei. Dokumentarfilmerin Judith Keil diskutierte außerdem mit Lefteris Fylaktos (Korsakow-Institut), Britta Erich (europäischer Medienfonds MEDIA), sowie Georg Tschurtschenthaler (Gebrueder Beetz) der das deutsche Crossmedia-Projekt „Lebt wohl, Genossen!“ vorstellte.
Die Webdoku gilt als deutsches Vorzeigeprojekt, sowohl von Aufwand und Qualität, wie auch von der Vermarktung. In sieben Länder konnte die Berliner Produktionsfirma die fertige Webdoku verkaufen, wo sie jeweils in die Landessprache übersetzt wurde. In der Runde kam schnell die Frage auf, wie die Nutzerzahlen sind. 100 000 Internauten haben die interaktive Seite seit gut einem Jahr besucht. Immer noch seien 200 bis 300 täglich unterwegs, die im Schnitt sechs Minuten auf der Seite verbringen, berichtete Tschurtschenthaler. Bei der journalistischen Qualität und einem Gesamtpreis von 380 000 Euro könnte man diskutieren, ob das zu wenig ist. Bei der Vermarktung der Webdoku hätte ihnen nach dem crossmedialen Großprojekt mit Doku-Serie, Ausstellung und Buch auch ein wenig die Energie gefehlt, sagte Georg Tschurtschenthaler.
MEDIA, der Medienfonds der EU, hatte das Projekt mit 100 000 Euro mitfinanziert und Britta Erich stellte in Kassel die Förderbedingungen vor. Einige Projektanforderungen sind ziemliche Hürden für junge Autoren, die im interaktiven Bereich experimentieren möchten:
– Die Webdoku muss ein obligatorisches „Hauptwerk“ (Film, Film-Serie, Dokumentation, etc.) begleiten!
– Der Antragsteller muss beweisen, dass er bereits ein ähnliches Projekt gestemmt hat!
Ich sehe das deshalb als Hürde, weil „Werk begleiten“ das interaktive Format schon qua Definition zum Beiwerk macht. Eine Geschichte von vorneherein interaktiv zu denken, zu schreiben und zu vermarkten funktioniert dann nicht (oder nur mit erheblichem Mehraufwand, siehe „Lebt wohl, Genossen!“). Doch genau das macht erfolgreiche Webdokus meiner Meinung nach aus: Nämlich radikal fürs Netz zu denken. Sich einen starken Partner zur Seite zu nehmen ist auch bei klassischen Dokumentarfilmen Standard. Viele Interaktiv-Spezialisten bieten sich momentan in Deutschland aber noch nicht an. „5 cm dick“ sei der Antrag für „Lebt wohl, Genossen!“ gewesen, sagt Georg Tschurtschenthaler. Die Meedia-Förderung sei aber auch der „Oskar“ unter den Fördergeldern. Mehr Infos gibts hier.
Eine spannende deutsche Produktion können wir Mitte Dezember erwarten. Das Korsakow-Institut um Florian Thalhofer wird dann Das Geld und die Griechen online stellen. Wie alle Korsakow-Filme bestimmt hier radikale Non-Linearität die Dramaturgie. In Kassel ist der sogenannte Korsakow-Film bereits als Video-Ausstellung zu sehen. Lefteris Fylaktos berichtete vom Experiment, den Korsakow-Film in Athen öffentlich zu zeigen: als Korsakow-Show.
Bei dieser interaktiven Vorführung entscheidet das Publikum basisdemokratisch über die Reihenfolge der Geschichte und kann Fragen an Experten stellen, auch per Twitter und SMS. Von 75 Fragen sei nur eine Frage direkt gestellt worden, die anderen elektronisch, berichtet Lefteris Fylaktos in Kassel. Außerdem hätten die Griechen ausschließlich Clips gewählt, bei denen Griechenlandklischees eine Rolle spielten. An Interviews zu Lösungen für die Krise war keinerlei Interesse. Ein spannendes Experiment, das laut Lefteris aber eigentlich keinerlei Ziel verfolgt. Getreu dem Motto: Mal schauen! Der Vergleich mit der Publikumsreaktion einer anderen Nation könnte aber spannend werden. Die nächste Korsakow-Show soll in Berlin stattfinden.
Im Workshop wurden im insgesamt vier Projekte nach ihrer Webdokutauglichkeit abgeklopft. Darunter auch die Fortsetzung des Berliner Bar-25-Films. Mit dem Holzmarkt haben sich die Bar-25-Protagonisten neue Ziele gesteckt und die Macherinnen des Films denken darüber nach, dieses Großprojekt interaktiv zu begleiten.
Und zum Schluss noch ein kleines Bonbon: In Berlin wird es bald einen Webdoku-Stammtisch geben! Der Name dafür ist noch nicht klar, aber Fréderic Dubois möchte spätestens im Januar mit einem kleinen Team den Anfang machen. Ziel ist es, Ideen von Autoren und Interessierten zu sammeln und die verschiedenen Kompetenzen und Berufe wie Grafiker, Designer und Programmierer an einen Tisch zu bringen. Langfristig sollen die Abende unter einem Themenschwerpunkt stehen und vielleicht hier und da mit einem Vortrag veredelt werden. Sobald es konkreter wird, erfahrt ihr es auf webdoku.de. Ich freue mich über diese Initiative und werde ab Februar auf jeden Fall regelmäßig mit dabei sein!
[…] Representing Korsakow Insitut at the panel discussion on “Interaktive Dokus – Storytelling im Netz – Ein nachhaltiges Genre oder ein Trend?” (http://webdoku.de/2012/11/17/interaktivitat-auf-dem-dokfest-kassel) […]