Bei den unterschiedlichsten Formen an Webdokus kann man schnell mal den Überblick verlieren: Linear, non-linear, Abzweigung hier, Menü da. Webdoku.de bringt Licht ins Dickicht und präsentiert sieben Muster von Webdokus. Mit den dazugehörigen Beispielen sowie Vor- und Nachteilen.
Die klassische Art eine Geschichte zu erzählen, mit einem Beginn, einem Ende und einer vom Autor vorgegebenen Richtung.
Einfache Bedienung, Dramaturgie steuerbar, keine Reizüberflutung.
wenig interaktiv also wenig stimulierend, die Interaktion hat nichts mit der Geschichte zu tun, jeder Zuschauer hat das gleiche Erlebnis.
Beispiele:
Bucharest Below Ground, Le corps Incarceré
Häufig verwendete Art: Der Zuschauer kommt zu einem Hauptmenü (Karte, Flashanimation, Fotos, Liste) von wo aus er je nach Lust die verschiedenen Module wählen kann.
Leicht zu verstehen, größtmögliche Wahlfreiheit, unterschiedliche Themen können gemeinsam präsentiert werden.
Die Handschrift des Autors schwindet, Gefahr der Reizüberflutung bei unendlich vielen Wahlmöglichkeiten und damit Frustpotenzial.
Beispiele:
The Iron Curtain Diaries, Lebt wohl, Genossen!
Die Hauptgeschichte wird linear erzählt. Regelmäßig werden Abzweige angeboten, um beispielsweise ein Thema zu vertiefen. Von dort geht es immer zum Hauptstrang zurück.
Starke Dramaturgie weil nah am linearen Erzählen, guter Kompromiss mit Interaktivität, jeder sieht die ganze Geschichte und damit die Handschrift des Autors.
Die Nähe zur Linearität wirft die Frage auf: Warum dann überhaupt eine Webdoku?, mögliche Schwierigkeiten für den Zuschauer nach einem Abzweig wieder in die Geschchichte zu finden.
Beispiele:
Prison Valley, Welcome to Pine Point
Der Zuschauer hat die Wahl zwischen mehreren Möglichkeiten an einem gewissen Punkt der Erzählung. Er entscheidet selbst, was er sehen möchte bzw. wohin er gehen möchte bis zur nächsten Wahlmöglichkeit.
Viele Wahlmöglichkeiten geben dem Zuschauer ein Gefühl von Freiheit in seiner Navigation.
Frustration beim Autor, denn kaum ein Zuschauer sieht die ganze Geschichte, viele Wahlmöglichkeiten bedeuten für den Autoren auch viele Sequenzen, die zu drehen sind.
Beispiele:
Webdokus der Deutschen Welle, Voyage au Bout du Charbon
Sie funktioniert ähnlich wie die verästelte Erzählstruktur wobei der Zuschauer an gewissen Schlüsselsequenzen nicht vorbeikommt, die gleichzeitig die Geschichte takten. Dadurch hat die Geschichte auch etwas Lineares.
+
Hohe Interaktivität, die Navigationsfreiheit ist zwar eingeschränkt durch die obligatorischen Sequenzen, ist aber höher als bei den klassischen linearen Erzählstrukturen, der Zuschauer hat das Gefühl nichts zu verpassen.
–
„Versteckte“ Linearität kann für den Interaktivitäts-Freak frustrierend sein.
Beispiele:
Thanatorama, Jour de Vote
Hier wird eine Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt. Die Geschichte ist mehr in Szene gesetzt als bei der konzentrischen Variante, erscheint wie eine multiplizierte Parallelstruktur in der sich die einzelnen Geschichten und Pfade treffen oder zumindest berühren können. Sie können aber auch unabhängig funktionieren.
Beispiele:
Inside Haiti Earthquake, Gaza Sderot, Amour 2.0
Der Zuschauer erlebt im besten Fall einen „Rausch“, denn unterschiedliche Geschichten laufen gleichzeitig in einer Art „interaktivem Pulp Fiction“. Im Idealfall hat der Internaut die Möglichkeit auch auf Inhalte vorzugreifen und sich in der Reihenfolge fortzubewegen, die ihm gefällt.
Eher hohe Gefahr der Reizüberflutung (Informations-Tsunami). Es ist schierig den Internauten nicht zu verlieren, denn es ist schwer ihm den Zusammenhang zwischen den einzelnen Geschichten immer deutlich zu machen. Man muss dem Internauten sowohl grafisches Feedback als auch inhaltliche Herausforderungen geben, um ihn bei de Stange zu halten. Ausserdem ist die Konzeption der Webdoku schwierig: wenn die Sequenzen in einer beliebeigen Reihenfolge konsumiert werden, dann dürfen bestimmte Infos nicht zu früh auftauchen um die Spannund zu halten. Andererseits darf der Internaut nicht auf Sequenzen zugreifen können, die er vielleicht ohne das Vorwissen aus anderen Sequenzen nicht versteht. Komplex.
Die Webdoku erzählt unterschiedliche kleine, in sich geschlossene Mini-Geschichten, die mehrere Eingangs- und Ausgangspunkte haben können. Diese Mini-Geschichten ähneln Kapitel in einem Buch oder Akten in einem Theaterstück, sind aber durchlässiger: man muss nicht unbedingt alle lesen, keine feste Ordnung.
Beispiele:
Soul Patron, Facade
Die Vorteile der parallelen Erzählstruktur aber ohne linear sein zu müssen. Denn jede Mini-Geschichte hat ihre eigenen Wahlmöglichkeiten, und erst die Verbindung der Mini-Geschichten kann wie paralleles Erzählen funktionieren. Paradoxerweise ist die Gefahr der Überforderung, des „Informations-Tsunamis“, relativ niedrig. Der Internaut ist nie verloren, er ist immer innerhalb einer Mini-Geschichte mit überschaubaren Ausmaßen und muss nicht immer die komplexe, große Geschichte im Blick haben.
Die Position des Autors bleibt vage, die des Internauten auch. Er kann am Ende der Geschichte ankommen, ohne alles gesehen zu haben. Er hat dann zwei Möglichkeiten: Entweder er lässt bewusst Inhalte links liegen (die Mini-Geschichten müssen dann aber sehr gut durchdacht sein, um sie „ignorieren“ zu können) oder er will alles sehen und muss eventuell Inhalte nochmal schauen, die er bereits kennt.
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Dieser Artikel basiert auf der Prezi von Journalist und Newsgames-Designer Florent Maurin. Er hat sich von der Klassifizierung von Computerspielen auf dem Blog Games Design Concepts inspirieren lassen (woher auch die Grafiken stammen), die Erkenntnisse auf das Genre Webdoku angewendet und die sieben verschiedenen Formen herauskristallisiert.
[…] Hier werden verschiedene Erzählstrukturen für Webdokus vorgestellt, die dem Game Design entliehen sind. […]
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